Rassismus­kritische Verwaltung

Nicht die Menschen, die Rassismus erfahren, müssen sich ändern, sondern die institutionellen Strukturen.

About

In meiner Masterarbeit »Rassismuskritische Analysen und Entwicklungspotenziale der Berliner Stadtverwaltung« habe ich mich mit institutionellem Rassismus und der Reproduktion rassistischer Denk- und Handlungsmuster in der Verwaltung beschäftigt.

Die folgenden Maßnahmen bilden einen konstruktiven Vorschlag im Diskurs um eine rassismuskritische Verwaltung und beziehen sich auf die gewachsenen inneren Strukturen der Behörden.

Dean Mansoor
Berlin 2021

»Nein, es reicht nicht aus, ›kein Rassist‹ zu sein. Wir müssen Anti­rassisten sein! Rassismus erfordert Gegen­position, Gegen­rede, Handeln, Kritik und – was immer am schwierigsten ist – Selbst­kritik, Selbst­überprüfung. Anti­rassismus muss gelernt, geübt, vor allen Dingen aber gelebt werden.«

Frank-Walter Steinmeier, 2020, Rede in einer Gesprächsrunde über Erfahrungen mit Rassismus ↗

Maßnahmen

Personalbindung durch Empowerment und Powersharing in den Institutionen

Safer Spaces

Safer Spaces stellen vertrauliche Räume bzw. Stellen in den Behörden dar, an die sich BIPoC wenden können. Solche Räume unterstützen und fördern BIPoC-Mitarbeiter*innen dabei, die eigene Resilienz, also die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, sowie die Selbstermächtigung bzw. Selbstbestimmung zu stärken.

Safer Spaces sind also auch Empowerment-Räume undkönnen dabei helfen, dass BIPoC-Mitarbeiter*innen den Institutionen als Arbeitskräfte erhalten bleiben. Sie sollten von externen Expert*innen begleitet werden, da einerseits viele Menschen, die von Rassismus betroffen sind, keine antirassistische Expertise besitzen, um für sich selbst Gegenstrategien zu entwickeln. Andererseits können Menschen mit Rassismuserfahrung auch gegenüber anderen Gruppen rassistisch auftreten.

Reflexionsräume

Das Land Berlin sollte darüber hinaus auch seinen weißen und privilegierten Mitarbeiter*innen Reflexionsräume ermöglichen. Sie können dafür sorgen, dass die weiße Dominanz in der immer pluraler werdenden Belegschaft in Fachgesprächen, Pausen oder Entscheidungen nicht weiter reproduziert wird.

Zentrales Ziel für weiße privilegierte Menschen ist es, Strategien von Powersharing zu entwickeln, um aus einer reflexiven privilegierten Perspektive heraus einen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit und Gleichheit zu leisten. Wie die Safer Spaces sollten auch diese Reflexionsräume von externen Expert*innen begleitet werden und institutionalisiert in regelmäßigen Abständen stattfinden.

Personalgewinnung und -entwicklung braucht einen Paradigmenwechsel in den Institutionen

Chancengerechtigkeit statt Gleichheitsnorm

Damit das BiPoc-Personal nicht mehr als ›Defizit‹ oder ›Problem‹ betrachtet wird, ist ein Paradigmenwechsel im Personalmanagement der Behörden notwendig. Das Ablegen von alten Strategien hin zu neuen Ansätzen kann ein wichtiger Schlüssel für rassismuskritische Veränderungen sein.

Defizitorientierung Ressourcenorientierung
Maßnahmen für Minderheiten Maßnahmen für alle
Integration Inklusion
Eindimensionale Strategien Ganzheitliche Ansätze
Vielfalt als Besonderheit Vielfalt als Alltagsnormalität

Damit die vergangene (z.B. in der Ausbildung) rassistische Diskriminierung des Systems nicht in einem Teufelskreis zirkulär verstärkt wird, müsste ein ressourcen- und kompetenzorientierter Ansatz in Bezug auf individuelle Fähigkeiten, Sichtweisen, Erfahrungen und Talente ins Zentrum gestellt und angewendet werden.

Neue Personalpolitik für die Repräsentation der pluralen Gesellschaft

BIPoC-Vertreter*innen

Eine neu zu schaffende Stelle wäre – analog zu bereits bestehenden Strukturen von Frauenvertreterin, Personalrat, Vertreter*innen von Menschen mit ›Behinderung‹ oder Jugend- und Auszubildendenvertretung – die Vertretung von Mitarbeiter*innen, die von strukturellem Rassismus betroffen sind. Ziel dieser Stelle sollte sein, bestehende Unterrepräsentanzen von BIPoC zu beseitigen und rassistische Diskriminierung zu verhindern, indem sie Verstöße gegen vorhandene Gesetze wie dem »Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz« entgegenwirkt.

Der*die BIPoC-Vertreter*in wäre an allen personellen, sozialen oder organisatorischen Maßnahmen zu beteiligen (u.a. an oben genannten bestehenden Strukturen). Idealerweise sollte ein Fachbereich etabliert werden, in dem die diversen Vertreter*innen gemeinsam die Intersektionalität von Diskriminierungen im Blick haben.

Rassismuskritische Expertise

Alle Dienststellen, die für das Personal zuständig sind, sollten die Konsultation der Zivilgesellschaft, zum Beispiel von NGOs in Anspruch nehmen. Darüber hinaus sollte rassimuskritische Expertise auch im Personal der Dienststellen zum Abbau des institutionellen Rassismus verankert werden. Dafür müsste neues Personal in den Dienststellen eingestellt werden, insbesondere um mit ihren Maßnahmen, Beratungen und Leitlinien der Verwaltung an die Lebensrealität aller Mitarbeiter*innen anknüpfen und damit zum Empowerment beitragen zu können.

Bottom-Up-Beurteilung

Die Beurteilung der Mitarbeiter*innen erfolgt in der Verwaltung nahezu ausschließlich top-down und hat einen großen Einfluss und Folgewirkungen auf Auswahlverfahren, Beförderungen oder Höhergruppierungen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die meisten beschäftigten BIPoC in den machtvolleren Positionen unterrepräsentiert sind. Um dieser Machtstruktur entgegenzuwirken sowie die Qualität der Arbeit der Führungskräfte zu verbessern, sollten die Beurteilungen auch bottom-up durchgeführt werden (vgl. die Praxis von Evaluationsbögen in der Lehre). Diese sollten, wie auch die Top-down-Beurteilungen, mit Folgewirkungen verbunden sein.

Diversität in der Gruppenarbeit

Die Zusammenarbeit unter den unterschiedlichen Behörden und Ämtern sollte neben der Wissensvermittlung auch zum Austausch über die Wertesysteme der Arbeitspartner*innen führen. Die Kompetenz für die Durchführung solcher Zusammenarbeit sollte durch Coachings, Workshops und Trainings vermittelt werden. Damit kann die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden, die unterschiedliche Arbeitserfahrungen, Qualifikationen, Expertisen und Moralvorstellungen besitzen, im Sinne der Wissenstransformation Erfolge erzielen. Diese Art der Gruppenbildung in einem Team bildet eine wertvolle Stütze für Veränderungsprozesse der Behörde zu mehr gelebter Kultur des gegenseitigen Respekts, der Gleichbehandlung und Wertschätzung von Vielfalt.

Mentoring-Programme

Ein Mentoring-Programm könnte von Dienstälteren für das neu eingestellte Personal gefördert werden. Die Mentor*innen sollten für diese Aufgabe geschult und zudem von anderen Arbeiten entlastet werden, damit diese wichtige Aufgabe nicht als Belastung wahrgenommen wird. Um eine Vorbildfunktion besser einnehmen zu können, sollten die Mentor*innen selbst BIPoC sein und ein Netzwerk, auch für neu angestellte BIPoC in der Verwaltung bilden. Somit können sie auch im vertraulichen Rahmen Unterstützung und Erfahrung aus erster Hand erhalten, wenn sie sich beispielsweise diskriminiert fühlen.

Erfassung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten

Der Status quo der Vielfalt sollte in den unterschiedlichen Verwaltungsebenen erhoben werden, damit die Realität an die angestrebten Ziele (mehr Vielfalt) angepasst werden kann. Daher müssen für die Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten die nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Merkmale wie ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung in Umfragen erfasst werden.

Diskriminierungsvorfälle sollten ebenso erhoben werden, damit das wiederholte Erleben von einzelnen Diskriminierungserfahrungen als strukturelle Benachteiligung aufgezeigt werden kann.

Monitoring und Evaluationsprogramme

Die festgeschriebenen Zielsetzungen sollten in regelmäßigen Abständen durch Monitoring-Programme überprüft sowie mithilfe von eigens dafür entwickelten Indikatoren und Instrumenten extern (oder intern) evaluiert werden.

Kontakt

Gefördert von

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